Die laufende Europawahl steht im Zeichen jüngst vergangener und laufender Krisen. Das führt zu mehr Skepsis in Österreich gegenüber der Europäischen Union (EU). Dabei gehört gerade Österreich zu den Profiteuren der Gemeinschaft und des gemeinsamen Binnenmarktes. Wir von DANUBE+BUSINESS sprachen mit dem Spitzenkandidaten der ÖVP, Dr. Reinhold Lopatka, über seinen persönlichen Antrieb, ins Europaparlament einziehen zu wollen, über seine Ziele und warum Österreich auch künftig die EU braucht.
(Das ungekürzte Interview können Sie sich auf unserem Youtube-Kanal hier ansehen.)
D+B – Herr Dr. Lopatka. Ein bekannter Industrieller und ehemaliger Finanzminister hat kürzlich in einem Interview behauptet, dass bislang nur Herr Dr. Brandstätter gesagt habe, warum er ins Europaparlament einziehen möchte. Warum wollen Sie ins Europaparlament? Was treibt Sie an?
Reinhold Lopatka – Für mich ist Europa eine Herzensangelegenheit und ein Friedensprojekt. Ich war schon dabei, als die Solidarnosc in Polen um die Freiheit kämpfte. Ich habe aber auch die letzten Jahre als Europa-Staatssekretär gearbeitet und die letzten zehn Jahre war ich Vorsitzender im Ausschuss für Europa im österreichischen Parlament. In dieser langen Zeit konnte ich ein großes Netzwerk aufbauen, denn man benötigt ein großes Netzwerk, will man in Europa etwas für Österreich umsetzen.
Reinhold Lopatka – Europa muss wettbewerbsfähig bleiben
D+B – Was wollen Sie konkret erreichen?
R. Lopatka – Europa muss wettbewerbsfähig bleiben. Die letzten Jahre lag der Schwerpunkt auf dem sogenannten “Grean Deal”, also den Umweltschutz. Das ist sehr wichtig, aber die Balance muss stimmen. Die Grundlagen für die Transformation weg von den fossilen Brennstoffen, die Grundlagen unseres Sozialsystems in Europa, also unseres Lebensmodells mit seinen Sozial- und Gesundheitsleistungen, ist ein starker Wirtschaftsstandort. Das wurde aber in den letzten fünf Jahren etwas vernachlässigt.
D+B – Das Europaparlament ist die Championsleage der europäischen Demokratie und des europäischen Parlamentarismus mit seinen eigenen Spielregeln. Was reizt Sie an dieser Herausforderung? Wie wollen Sie den Parlamentarismus innerhalb der Union stärken, damit das Parlament auch ein echtes Legislativorgan mit eigenen Initiativrechten wird?
Reinhold Lopatka – Das, was Sie hier angesprochen haben, gibt es alles noch nicht. Das Initiativrecht liegt ja bei der Kommission und dann kommen die 27 Regierungschefs ins Spiel und dann erst das Parlament in diesem Trilog. Der Punkt ist aber, dass es seit 2008 und dem Vertrag von Lissabon keine Reformen mehr gegeben hat. Reformen waren von der Kommission zwar geplant, aber dann ist Corona dazwischengekommen. Wir müssen daher an diesem Punkt wieder weiterkommen, so, wie bei der Erweiterung der EU.
D+B – Aber wie wollen Sie, als künftiger EU-Parlamentarier hier weiterkommen, etwa im Rahmen der EVP? Es hat ja in der Vergangenheit immer wieder Anläufe gegeben, den Parlamentarismus zu stärken.
R. Lopatka – Seit es Wahlen zum Europaparlament gibt, war die EVP immer mit dem größten Vertrauen der Bürger ausgestattet. Ich gehe davon aus, dass das auch bei dieser Wahl so sein wird. In dieser Zeit haben wir schon mehrfach Vorschläge gemacht, wie das Parlament gestärkt werden kann. Wir brauchen dafür einerseits Mehrheiten und andererseits dann auch Vertragsänderungen. Beides ist ein schwieriges Unterfangen und beides wird auch vom Ergebnis (Anm.d.Red. Wahlergebnis) abhängen, ob diejenigen, welche Europa weiterbringen wollen, gestärkt werden oder die, welche Europa zerstören wollen. Das muss man so offen aussprechen
Reinhold Lopatka – Wir brauchen mehr Binnenmarkt
D+B – Ihr Slogan, mit dem Sie in den Wahlkampf gestartet sind, lautet: “Euopa. Aber besser.” Die EU ist ohnehin ein Generationenprojekt, das permanent perfektioniert werden muss. Sonst müsste man auch nichts verbessern. Was wollen Sie verbessern? Was sind Ihre Verbesserungswünsche? Und wie sollen sich diese beispielsweise auf Österreich auswirken? Welche konkreten Anliegen haben Sie persönlich als Österreicher, die sie im Europaparlament einbringen wollen?
R. Lopatka – Lassen Sie mich so beginnen: Ich habe heute bereits zwei sehr erfolgreiche Betriebe besucht. Der eine Betrieb exportiert 80 Prozent seiner Leistungen und der andere sogar 100 Prozent. Das zeigt, dass Österreich eine kleine, exportorientierte Wirtschaft ist. Sechs von zehn Euro verdienen wir über Exporte, 70 Prozent des Exports gehen in den europäischen Binnenmarkt. Diesen Binnenmarkt gibt es in einigen Bereichen überhaupt nicht. So müssen diese Unternehmen, um ihre Ware liefern zu können, auf die Straße setzen. Hier müssen wir dringend die Schieneninfrastruktur in Europa verbessern.
Reinhold Lopatka – Mehr Binnenmarkt ist für Österreich ein Gewinn
D+B – Warum?
R. Lopatka – Wir haben europaweit noch 600 nationalstaatliche Regelungen (Anm.d.Red.: des Schienenverkehrs), wir haben kein einheitliches Stromnetz für die Bahnen, jede Lokomotive muss in jedem Land zertifiziert sein, und und und… Hier brauchen wir mehr Binnenmarkt. Auch was die Energieversorgung angeht, brauchen wir einen europäischen Energiemarkt, dito Kapitalmarkt etc. Um es auf den Punkt zu bringen: Für Österreich ist es der größte Gewinn, wenn der europäische Binnenmarkt weiter gestärkt wird und wenn wir hier zu Fortschritten kommen. Dort liegt auch der Schwerpunkt meiner Arbeit.
D+B – Sie haben das europäische Bahnwesen angesprochen. Dieses ist nach wie vor eine nationale Spielwiese, die von unterschiedlichen Stromspannungen über unterschiedliche Spurweiten bis hin zum rein nationalen Lok-Fürherschein reicht. Jetzt investiert die österreichische Bundesregierung intensiv ins Schienennetz. Wie koordinieren Sie das etwa mit dem größten Markt für Österreich, Deutschland?
R. Lopatka – Hierzu muss ich zunächst darauf hinweisen, dass in der Steiermark viel europäisches Geld in diesem Bereich fließt. Allein beim Koralmtunnel fließen 600 Millionen Euro. Es gibt aber Koordinationsprobleme beispielsweise in Tirol in Hinblick auf den Brenner-Basistunnel. Dort investiert Österreich 18 Milliarden Euro. Das Problem ist, dass wir bis heute Deutschland nicht davon überzeugen konnten, die Anschlussstellen auf bayrischer Seite endlich in Angriff zu nehmen. Hier laufen bilaterale Gespräche, aber wir sind noch nicht am Ziel. (Anm.d.Red.: Diese Anschlussstellen sind wichtig, um die Zuläufe auf österreichischer Seite zum Brenner-Basistunnel realisieren zu können. Ohne diese Zuläufe ist jedoch ein Gütertransit auf der Schiene nach Italien durch den Tunnel nur sehr eingeschränkt möglich. Dabei steht der Brenner-Basistunnel im unmittelbaren Mitbewerb zum Gotthart-Tunnel in der Schweiz.)
Reinhold Lopatka – Österreich war mehr betroffen als andere EU-Länder
D+B – Themenwechsel: In Österreich gibt es mehr EU-Skeptiker als im Durchschnitt der Union. Warum glauben Sie, ist das so? Was sagen Sie den Skeptikern? Wie begegnen Sie dieser Skepsis?
Reinhold Lopatka – Wir haben zum einen in Österreich eine Partei, die FPÖ, die von Anfang an gegen den Beitritt war und von Anfang an nur daran war, Europa schlechtzureden. So haben sie allein in der laufenden Legislaturperiode zwei Anträge gegen die Union gestellt. Bei einem sollte Österreich seine EU-Beiträge aussetzen. Wenn das jedes Mitglied macht, wäre das das Ende der Union. Zum anderen war und ist Österreich mehr betroffen von den letzten Krisen wie etwa die Finanzkrise, Stichwort Hypo Alpe Adria, ein Milliardendesaster. Zweiter Punkt die Flüchtlingskrise. Österreich war nicht nur Transitland für Flüchtlinge, sondern auch Zielland. Zum Dritten ist Österreich stärker als andere Länder vom russischen Krieg gegen die Ukraine betroffen, weil österreichische Unternehmen dort stärker engagiert waren. Das erzeugt insgesamt mehr Skepsis.
D+B – Wie begegnen Sie dieser Skepsis?
R. Lopatka – Indem ich versuche, die Menschen durch Gespräche davon zu überzeugen, dass die EU uns viel nützt und sie uns in Hinblick auf die Sicherheit schützt, so, wie bei dieser Veranstaltung heute in der Steiermark,
D+B – Sie werden als Spitzenkandidat der ÖVP in Europaparlament einziehen. Wie werden Sie die europäischen Themen, die ja supranational sind, auf Österreich herunterbrechen?
R. Lopatka – Indem ich den Menschen erkläre, was ist. Wir sind seit 30 Jahren in der EU und in dieser Zeit haben beispielsweise über 350.000 junge Österreicherinnen und Österreicher das Erasmusprogramm genutzt. Wir müssen daher die Begeisterung, die es in Österreich für Europa gab, weiter aufrechterhalten. Europa muss also ein Projekt für die Jugend sein. Die EU muss aber auch ein Projekt für unseren Wohlstand sein. Daher müssen wir den Wirtschafts- und Industriestandort Europa und Österreich stärken. Dabei muss die Balance zwischen Klimaschutz und Wirtschaftsstandort stimmen. Und zum Dritten muss der EU-Außengrenzschutz weiter gestärkt werden. Nicht Schlepper sollen entscheiden, wer in die EU und nach Österreich kommt, sondern wir. Dabei will ich die Menschen davon überzeugen, dass wir diese Fragen nicht nationalstaatlich beantworten können, sondern nur im Rahmen der EU.
Reinhold Lopatka – Nur Putin kann diesen Krieg beenden
D+B – Die Demokratien der Welt und ganz besonders die EU stehen derzeit unter massivem antidemokratischem Druck: von außen und innen. Dabei stellen diese das Friedensprojekt EU als Ganzes infrage. So titelt beispielsweise eine Partei in Österreich, dass sie den “EU-Wahnsinn” stoppen wolle, indem sie die Nationalismen wieder stärken will. Seit der Montanunion ist jedoch der politische Auftrag der Gemeinschaft die Bekämpfung des Nationalismus (siehe Präambel Montanvertrag). Gleichzeitig führt ein Diktator gegen die Werte der EU wie Menschenwürde, Menschenrechte, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einen Vernichtungskrieg mit dem Ziel einer “Neuen Weltordnung” die auf dem Recht des Stärkeren basiert. Bei unserer A-TV Spontanumfrage wünschte sich ein Interviewpartner, dass wieder Frieden in Europa einkehren solle. Wie sehen Sie hier Ihre persönliche Rolle als Europäer und künftiger EU-Parlamentarier?
Reinhold Lopatka – Ich wurde von der OSZE beauftragt, den Dialog zwischen der Ukraine und Russland zu führen. Erst vor 14 Tagen hatte ich ein Gespräch mit Wladimir Tschischow. Dieser war lange Zeit der ständige Vertreter Russlands bei der EU (Anm..d.Red.: 2005-2022). Leider gibt es derzeit von beiden Seiten keine Bereitschaft zu Friedensverhandlungen zu kommen. Wenn die Ukraine diesen Krieg beendet, dann gibt es die Ukraine nicht mehr. Würde Putin den Krieg beenden, könnte man in Gespräche eintreten. Ich als Vertreter Österreichs versuche meinen Beitrag hier zu leisten, zu einer friedlichen Lösung zu kommen. In Wirklichkeit liegt das jedoch in den Händen des russischen Präsidenten.
Reinhold Lopatka – Österreich braucht Freunde
D+B – John F. Kennedy sagte einst: “Frage nicht, was die Gemeinschaft für Dich tun kann. Frage vielmehr, was Du für die Gemeinschaft tun kannst.” Was können Sie, was kann Österreich tun, damit die EU besser wird?
Lopatka – Österreich hat mehr getan als es eigentlich seiner Größe entspricht. Wir haben mit unserem damaligen Kommissar Fischler und jetzt Kommissar Hahn, aber auch durch unsere Minister wie Alois Mock oder Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Karl Nehammer haben wir versucht, das Projekt EU zu stärken. So haben wir versucht, dass unsere Nachbarn den Weg in die Europäische Union finden (Anm.d.Red.: Stichwort “Osterweiterung”). Der letzte Beitritt war Kroatien. Davon profitiert Österreich natürlich sehr. Wir müssen hier weiter unseren Beitrag leisten. Das nützt der Staatengemeinschaft und uns als kleiner Staat nützt das noch mehr. Das ist unser Auftrag, denn geht es der Europäischen Union gut, dann geht es auch Österreich gut.
D+B – Und was können die Österreicherinnen und Österreicher tun? Wäre es nicht sinnvoll, sich nicht nur auf sich selbst zu konzentrieren?
R. Lopatka – Ja freilich! Doch wir als Politiker können den Nachweis erbringen, dass sich der Beitritt Österreichs zur EU gelohnt hat. Wir müssen den Nachweis liefern, dass wir die großen Fragen (Anm.d.Red.: z.B. Klimaschutz, Energieversorgung, Sicherheit, Zuwanderung etc.) nicht alleine beantworten können, sondern nur gemeinsam, denn nur gemeinsam sind wir stark. Ich habe kein Feindbild von Europa, sondern ein Freundbild. Wir brauchen Freunde!
D+B – Das ist ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch!